Ich brauche mehr Zeit. Zeit zum Schreiben. Mein imaginäres Logbuch (und mein ganz eigenes, schwarzes, ledergebundenes Tagebuch) ist bis zu beiden Buchdeckeln gefüllt mit Eindrücken, Begegnungen, Reizen, Gedanken – ungeschriebenen Geschichten, die ich mit Euch teilen möchte. Aber das Leben hier oben ist zu einzigartig (und zu kurz – ich fühle mit jedem Tag, dass es Herbst wird), um das Jetzt und Hier am Laptop zu verbringen. Ich verspreche, ich werde die warmen Tage sammeln wie der Maulwurf Grabowski – und vielleicht verlege ich das Schreiben einfach wieder auf den Winter (*) …
Nur kurz: Ich bin letzte Woche (genauer am 14. August) bei herrlichstem Wetter von Hailuoto (Marjaniemi) nach Norden gesegelt, der Wind drehte etwas – und auf einmal war ich in Schweden. Nicht ganz ungeplant: der 15. August wird weltweit als „International Lighthouse Day“ gefeiert – und der nördlichste „richtige“ Leuchtturm der alten Garde steht auf Malören… Manchmal ist es gut, keine Hafenführer zu haben, keine Detailkarten, die einen mit ihren erschreckenden (Un-)Tiefenangaben warnen und davon abhalten könnten, gewisse Orte anzulaufen: Als ich bei guten 6 Beaufort genau aus Süd vor der (nach Süden offenen) Bucht von Malören ankam war es für meine Feststellung, dass der „Hafen“ dort seit Jahren nicht mehr zu existieren scheint und bei Hochwasser nur knapp 1,30 tief ist – nun, zu spät, im wahrsten Sinne des Wortes, denn es wurde dunkel. Also…
Resultat: Ein paar dicke Schrammen in Tadornas Gusseisenkiel, vier Locals, die vor lauter Gegen-den-Wind-Rufen und Tadorna mit ausgebreiteten Armen und erschrockenem Gesichtsausdruck nach links und rechts dirigieren fast ins Wasser fallen, ein linker Haken und ein verbogener Bugbeschlag – dann Tausch der Gastlandflaggen, Einladung in die Sauna („It’s warm now, come on…“) und ein Abendessen der ganz besonderen Art: Surströmming – übersetzt in etwa „saurer Hering“, eine Art vergärter (um nicht zu sagen vergammelter), in Salzlake eingelegter, ein Jahr alter Fisch in Dosen, der gotterbärmlich stinkt – aber tatsächlich gar nicht so schlecht schmeckt (Nase zuhalten!!!).
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Malören ist ein Paradies. Lebensqualität pur. Und verdient eine eigene, lange, philosophische Abhandlung über das Leben, die Liebe, das Meer und das Jetzt. Kommt noch. Irgendwann. Versprochen.
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Von Malören ging es am 16. weiter nach Haparanda Sandskär, einem Vogelschutzgebiet (habe zum ersten Mal in meinem Leben Vögel gefangen und beringt!), dann (entgegen dem Rat der Einheimischen: „No, it’s not possible!“) nach Haparanda selbst (Geht nicht gibt’s nicht!). Dort habe ich einen tollen Tag mit einem Reporter der Lokalpresse verbracht – leider hat Haparanda Bladet keine Webseite, sonst könntet Ihr Tadorna nächste Woche auf der Titelseite bewundern ;-) ! Ich versuche, eine Kopie zu bekommen und zu scannen…
Gestern war ich dann in Törehamn, an der berühmten „Nordtonne“ – der nördlichsten Tonne der Ostsee. Ein gelb-rostiges, kantiges Ungetüm aus Stahl, an dem man unter normalen Umständen nur höchst unfreiwillig einen Aufschießer fahren würde (insbesondere wenn es mit 6-7 aus Süd weht) – wenn da nicht der Briefkasten wäre! Also das doppelt gereffte Groß geborgen, Fock auf, ran da und Zettelchen ausfüllen – dann bekommt man ein Zertifikat, dass man die nördlichste Tonne der Ostsee erreicht hat. Und endlich habe ich Gelegenheit, die vor über einem Jahr gedruckten Tadorna-Postkarten (mit Bootsstempel!) einzu werfen! Keine Ahnung, ob das so funktioniert, und wenn ja, wie lange das dauert – aber ich denke, einige meiner Leser werden sich in Bälde über „Post aus Haparanda“ freuen ;-) !
Gestern Abend und heute habe ich mich dann bei böigem Süd 7-8, teilweise sicher mehr, nach Lulea gearbeitet – immer gegenan, mitten durch die Steine, mit nächtlichem Zwischenstop auf Fjuksön, einer kleinen Insel, die mir dankenswerter Weise etwas Schutz bot, als es zu wild wurde (schon mal bei doppelt gerefftem Groß auf Amwindkurs von Lee her vollgelaufen?). Bescheuerte Aktion. Ich werde oft gefragt, was die wichtigsten Ausrüstungsgegenstände an Bord von Tadorna sind. 1) Die Windfahne. 2) Das doppelte Einleinenreffsystem. 3) Der schwere Anker. Alle drei Dinge habe ich gestern wirklich ausgiebigst gebraucht. Aber viel wichtiger ist eigentlich etwas anderes: Zeit. Zeit, auch mal im Hafen zu bleiben, die Beine hochzulegen und beim Schein der Petroleumlampe ein gutes Buch (im Moment Erskine Childers: Riddle of the Sands. Danke, Bartek!!!) zu lesen und den Sturm Sturm sein zu lassen. Denn bei so einem Wetter segelt man einfach nicht. Nicht mit einem 50 Jahre alten, kleinen Folkeboot, dessen Kielbolzen ächzen und Verbände lecken. Nur: Ich musste nach Lulea, zum Flughafen – denn ich bin auf dem Weg nach Berlin. Nur für einen Tag, aber es ist wichtig. Und ich werde erwartet.
Ich habe also mal wieder eine meiner Grundregeln (Nie zu einem bestimmten Zeitpunkt an einem bestimmten Ort sein müssen) verletzt – und, wie immer, wenn ich so etwas tue, dafür bezahlt. 100 Meter vor der Einfahrt in den Lulea Sund – also fast am Ziel. Wer kann auch ahnen, dass die Sch… Mole UNTER Wasser weitergeht?! Es ist das dritte Mal, dass ich Tadorna in voller Fahrt auf einen Stein setze – diesmal bei gut 7 Knoten die Welle runter. Aber so geknallt hat es noch nie. Alle Schubladen auf, Kojenpolster hochgeflogen, Geschirr kaputt, blaue Flecken an der Schulter, und das Wasser aus der Bilge hat die Bodenbretter von unten gewaschen… Aber seit heute sind alle Zweifel, die ich jemals an der verbleibenden Festigkeit meiner Kielbolzen und der Steifigkeit meiner Verbände gehabt habe – Salzwasserflecken von gestern…
Die Sache hat allerdings ein Nachspiel: Die Pressung des backbordschen Oberwants ist unter dem enormen plötzlichen Druck auf das Rigg gebrochen – oder ausgerissen, von dem siebenkardeligen Niro-Draht sind nur noch drei Kardele fest, die übrigen vier dröseln sich bis auf Baumhöhe auf. Ich werde basteln müssen. Und das gesamte stehende Gut überprüfen.
Den Flieger nach Stockholm habe ich so gerade eben noch erreicht – nach einem irren Anleger: Vor dem Wind bei 7-8 in den engen Yachthafen eingelaufen, rasanter „Erkundungskringel“ unter Vollzeug, wieder rausgekreuzt (große Erleichterung bei den zu Eis erstarrten Restaurantgästen hinter der großen Glasfassade), vor der Hafeneinfahrt beigedreht, Groß geborgen und nur unter Fock wieder rein – 5 Knoten! Ein letzter Vollkreisel, runter das Ding, und vor Topp und Takel in die Box – mit Karabinerhaken über Winsch als „Notbremse“ und nur gaaanz leichtem Touchieren der vorderen Schwimmstegkante. Den Zuschauern sind fast die Gabeln aus den Mündern gefallen, und Klatschen wollte dann vor lauter verflogenem Schreck, kaltgewordenem Mittagessen und sich langsam einstellender Erleichterung auch keiner mehr, während ich (mit ziemlich Adrenalin im Blut, merklichem Herzklopfen, einem Zuviel an Testosteron – aber Gesichtsausdruck als würde ich so was jeden Tag machen) meine Segel klariert habe. Schade eigentlich ;-)
More soon. Gruß vom Stockholm Arlanda Airport. Mein Anschluss nach Berlin geht in 20 Minuten. Ich muss los.
Bastian
(*) Stichwort Schreiben: Nur noch drei Wochen, dann erscheint "Raus ins Blaue! Unter Segeln nach St. Petersburg"!!!