Kolberg ist eine hübsche 40.000-Einwohner Stadt, die mit ihren langen Sandstränden, dem nahegelegenen Naturschutzgebiet und ihren Sole-Bädern im Sommer (die Saison beginnt hier zum Glück erst Anfang Juli) mindestens noch einmal so viele Kurgäste und Touristen anzieht. Es gibt eine wunderschöne Kathedrale im gotischen Backstein-Stil, einen alten Militärflughafen – angeblich mit unterirdischen Waffenarsenalen und der Möglichkeit, dass „der Russe“ diesen im Ernstfall innerhalb von 30 Minuten wieder über- und in Betrieb nehmen kann – und, wie mich der Taxifahrer aufklärt, einen „ser ser gutt ficki ficki Puff“, der anscheinend gerne von deutschen Seglern frequentiert wird.
Aber all das ist nicht der Grund warum ich hier bin – und eine knappe Woche zu bleiben gedenke. Ich hoffe hier Jörn Heinrich zu treffen. Jörn hat die beiden besten Törnführer geschrieben, die ich je in den Händen gehalten habe – die Bibeln für jeden, der Polen, das Baltikum, Russland oder Südfinnland besegeln möchte, mit ausführlichen Revier-, Wetter- und Hintergrundinformationen und selbstrecherchierten Karten und Hafenplänen wie sie woanders so detailliert nicht zu finden sind – und das ganze über seine Webseite www.joern-heinrich.de regelmäßig geupdatet und seitengenau aktualisiert. Aber Jörn ist nicht nur Segler und Autor, sondern vor allem ein begnadeter Bastler und Tüftler, und hat sich zur besseren Bewältigung seiner vielen Recherchetörns vor einigen Jahren eine Windfahnensteuerung nach dem Walt Murray-Prinzip gebaut, dieses entscheidend verbessert und eine 80-seitige Bauanleitung dazu verfasst, anhand derer, wie er schreibt, jeder „handwerklich halbwegs begabte Segler“ diese nachbauen kann.
Ich habe mir in Berlin die meisten Teile besorgt und will das ganze hier zusammenbauen – dafür reichte die Zeit bisher nicht –, und Jörn hat einen Trimmtörn zur Feinjustierung versprochen. Aber ganz so einfach ist das alles dann doch nicht. Trotz drei gut gefüllter Werkzeugkisten an Bord ist man ohne Schraubstock, in dem man z.B. 6-mm-Edelstahlstangen gradgenau biegen kann, guter Gewindeschneider und einer Reihe lokaler Adressen, um fehlende Bolzen und sonstige Metallteile zu bekommen ziemlich aufgeschmissen. Jörn wirft nur einen kurzen Blick auf mein auf dem Pier ausgebreitetes Werkzeug- und Teile-Sammelsurium – „So wird das nichts“ –, stellt mir kurzerhand seinen Werkstattkeller mit allem was darinnen ist zur Verfügung und gesellt sich abends dazu, um einen kritischen Blick auf meine Werkstücke zu werfen und – nach Kommentaren wie „Das hier ist Pfusch“ und „den kannst Du gleich noch mal machen“ –, selbst Hand anzulegen. So basteln wir drei Tage bis in die späte Nacht hinein, und am Donnerstag bringe ich das gute Stück stolz am Heck von Tadorna an.
Bei Regen und Flaute fällt der Trimmtörn am nächsten Tag leider aus, ich bastele stattdessen unter Deck weiter an meiner Elektrik, bringe endlich die elektrische Lenzpumpe in Gang, baue den Benzintank neu ein (die erste Konstruktion hatte nicht gehalten – jetzt steht er auf zwei im Baumarkt gekauften, abgesägten Axt-Stielen, die sollten halten), und dann steigt Tadorna in die Klasse der Luxus-Yachten auf, die fließend Wasser an Bord haben – ich installiere einen flexiblen 50-Liter-Tank in der Bilge und bringe die alte Handpumpe wieder in Gang.
Ansonsten legen die Holländer zwei souveräne Spiele hin und werden hiermit zu meinen EM-Favoriten, während die deutschen sich von den Kroaten vorführen lassen und die Polen auf eine weitere deutsche Niederlage gegen Österreich hoffen um überhaupt noch weiterzukommen. Und Sören und Crew kommen mit „Windspiel“, einer 8 Meter V9-Jolle, vorbei – die vier gehen trotz Bedenken von Jörn am Donnerstag Nachmittag bei 5-6 weiter Richtung Ustka, melden sich aber am nächsten Tag von dort per SMS als wohlbehalten angekommen – kernig. Jungs, stay in touch – ich habe noch ein paar coole Fotos von Eurem Ableger gemacht ;-) …
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PS: Ich entschuldige mich für die lange Schreibpause, aber fünf Tage hintereinander ein „ich bastele an meiner Selbststeueranlage“ ist einfach nicht wirklich spannend. Die Tadorna To Do-Liste ist immer noch lang, aber das Schiff ist jetzt im Prinzip seeklar, es kann also endlich richtig losgehen – die nächsten Schläge entlang der polnischen Küste nach Danzig, Kaliningrad und dann hoch nach Klaipeda und Riga werden lang.