Riga erschlägt mich irgendwie. Ich verbringe vier Tage in der lettischen Hauptstadt und weiß am Ende gar nicht wirklich was ich gesehen / gemacht habe. Ich sollte mehr Zeit auf kleinen Inseln und in abgelegenen Fischerdörfern verbringen, die ich so wohl nur diesen Sommer erleben werde, und weniger Zeit in EasyJet-Metropolen. In Riga war ich letztes Jahr kurz vor Silvester schon einmal, zusammen mit Leif und Fabian – allerdings hat die Stadt bei 25 Grad und Sonne deutlich mehr Charme als bei Minusgraden und Schneeregen.
Ich treffe in Riga gleich zwei meiner Sommerschülerinnen von der DGAP*, Zane und Kseniya. Zane betreut das NATO-Desk des lettischen Außenministeriums, Kseniya arbeitet als Übersetzerin in Moskau und ist gerade zufällig auf Durchreise nach Turin zu einem Italienisch-Sprachkurs. Wir verbringen zwei sehr chillige Abende an Bord, trinken guten Wein und erzählen. Zane und ihr Freund Martins nehmen mich mit nach Jurmala, einem besonders unter Russen sehr beliebten Ferienort 20 km nordwestlich von Riga. Lettland ist zu über 50% russisch – in Jurmala dürften es gerade im Sommer über 90% sein, viele reiche Moskauer kommen für die Sommermonate eingeflogen und verbringen hier ein paar Wochen am Strand, in teuren Bars und feinen Restaurants, feiern ihre jungen Musikstars und promenieren die hübsche Fußgängerzone auf und ab.
Kseniya ist überzeugte CouchSurferin – ein Sport der mir bis dahin unbekannt war: Auf www.couchsurf.com kann man sich ein Profil zulegen und entweder einen Schlafplatz in seiner Wohnung anbieten oder eben einen solchen suchen, wenn man auf Reisen ist – ich treffe ihre Gastgeber, und wir verbringen eine laute Nacht auf einer CouchSurf-Party in irgendeinem recht abgedrehten Rigaer Hostel. Vielleicht sollte ich eine Tadorna-Koje anbieten und mal schauen wer so mitkommen möchte ;-)
Natürlich schaue ich mir auch die Stadt an, aber – siehe oben – so richtige Sightseeing-Stimmung will bei mir im Moment nicht aufkommen. Den Zentralmarkt hätte ich mir gerne angesehen, Ulf und ich essen dort am Ankunftsmorgen leckeres Schaschlik, bevor er sich auf den Weg zum Flughafen macht – aber als ich am Donnerstag nach langem Fußmarsch an den riesigen ehemaligen Zeppelinhallen ankomme ist bereits alles geschlossen. Im Winter bin ich hier durchgezogen – ich erinnere mich an Berge von rohem Fleisch, frischem Fisch, Obst und Gemüse… Ich kaufe stattdessen im Stockmanns ein, dem größten Kaufhaus Rigas, und verproviantiere mich neu – Tadorna liegt nach dem Verstauen wieder ein bis zwei Zentimeter tiefer ;-)
Was schade ist: Wäre ich eine Woche früher gekommen hätte ich das alle vier Jahr stattfindende lettische Song-Festival miterleben können – zigtausende Letten singen in einem riesigen Stadion a capella alte lettische Volksmusik. Muss ein irres Erlebnis sein. Wäre ich ein paar Tage später hier, es gäbe noch Karten für Björk und Metallica… Aber ich will weiter, auf nach Norden. Riga, ich komme ein andermal – ohne Boot, nur zum Gucken. Ich habe die lettische Hauptstadt in diesen Tagen nicht wirklich goutieren können…
* DGAP: Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik. Von 2005 bis Anfang des Jahres habe ich hier das International Forum on Strategic Thinking, das zentrale Programm der internationalen Nachwuchsförderung der DGAP, geleitet, u.a. mit einer jährlichen Sommerschule zu außen- und sicherheitspolitischen Themen für Studenten aus aller Welt.