Kaliningrad. Kaliningrad! Kaliningrad ;-) !!!
Ich habe immer noch ein Grinsen im Gesicht. Sitze in einem netten Pub beim Kastellhafen von Klaipeda und denke zurück an fünf irre Tage. Es wird Zeit dass ich mir endlich mal Zeit für flickr nehme und meine Bilder hochlade. Denn was Ihr hier noch nicht seht sind z.B. die Fotos von Katja. Und Jula. Und Natalja. Und natürlich die Aufnahmen von dieser wirklich faszinierenden Stadt. Wer etwas für post-sovietischen Charme ohne das übliche Touri-Tamtaram, das einem bei Besuchen von St. Petersburg oder Moskau durchaus begegnen kann, übrig hat ist hier genau richtig. Und wer lange Beine mag sowieso. Aber jetzt mal der Reihe nach…
Am Freitag muss ich erstmal ankommen und mache einen Hafentag. Der Kaliningrad Yacht Club, der einzige seiner Art in der gesamten Enklave, beherbergt ca. 40 Schiffe – teils recht abenteuerliche Gefährte. Ich verhole mich am Morgen neben Rambo, einem Eigenbau aus den 50er Jahren. Schlachtschiff, könnte man auch sagen. Und sicher nicht mehr seefähig. Wird vom Verein als Rumpelkammer für alles, insbesondere für Wodka aus 5-Liter-Wasserkanistern, genutzt – der große Eichentisch in der Mitte ist außerdem Ablagefläche für eine riesige Schweineschwarte, dicke Dauerwurststücke und andere fleischliche Essbarkeiten, die ich mir lieber nicht genauer anschaue, die aber super schmecken und tatsächlich den morgendlichen Kater verhindern. Paul und Arthur, zwei Jungs um die 20, schenken mir schon ab mittags tüchtig ein, fahren mich dann zur nächsten Tankstelle, erzählen mir dass der 1. Vorsitzende des Clubs vor zwei Jahren die bis dahin noch existierenden Optis und Laser verkauft und das Geld eingesackt hat – „this is Russia, you know“ -, ich erfahre dass die Toiletten und die mobile Dusche letzten Winter geklaut worden sind, Strom gibt es auch keinen (dafür knattern überall die Generatoren, Sprit ist billig), Wasser kommt aus dem Brunnen. Abends lädt mich Alexey auf sein Boot ein, es gibt selbstgebrannten Brandy und einen hervorragenden Kartoffel-Käse-Auflauf von seinem Neffen. Ich mag es hier, die Segler sind echte Kerle – wer hier segelt muss was drauf haben, und außerdem gut improvisieren können. Alexeys Schiff hat einen alten Volvo Penta; da es hierfür keine Ersatzteile gibt hat er kurzerhand ein altes Pleuelgestänge aus einem Jeep ausgebaut, die Kolben passend aufgebohrt und alles wieder zusammengebaut – funktioniert. Paul und Arthur räumen und basteln den ganzen Tag und gehen mitten in der Nacht mit Vereinsschiff NINA und fünf weiteren Kollegen auf große Fahrt: Sie wollen zu einer Regatta nach St. Petersburg. Da sie keine Visa haben heißt das für sie: durchsegeln außerhalb der 12-Meilen-Grenze. Respekt – das sind immerhin ein paar Meilen. Sie rechnen 5 Tage bis zum Regattastart.
Am Samstag treffe ich Helmut und Sibylle aus Rügen mit ihrer Segeljacht Njoerd. Sie waren schon öfter hier, sind früher zu DDR-Zeiten selber Folkeboot gesegelt, sprechen Russisch und stellen mir einen guten Freund vor, der mich mit in die Stadt nimmt. Auf der alten Reichsstraße Nr. 1, die einmal von Aachen bis nach Königsberg geführt hat, fahren wir zum Brandenburger Tor, hier steige ich aus und erlaufe mir die Stadt, vorbei an alten Plattenbauten, preußischen Bastionen und großen Stadtparks mit riesigen Kriegsdenkmälern, aber auch neuen Einkaufszentren mit Gucci, Chanel und anderen Fashion-Läden, in denen ich mich einfach nur an eine Bar setze und der vorbeiziehenden weiblichen Bevölkerung hinterherschaue. Am Dom treffe ich auf mehrere Hochzeitsgesellschaften – unter anderem ist es Brauch, an der alten Brücke zur Dominsel ein Schloss mit eingravierten Namen und Datum anzuschließen, es hängen einige hundert davon entlang des gesamten Geländers.
Nach vielen gelaufenen Kilometern setze ich mich in den letzten Bus zurück in Richtung Yachtclub – ich hatte vergessen dass auch in Königsberg schon Moskauer Zeit herrscht – und sage der hübschen Kontrolleurin wo ich hin will. Als ich die abgehende Stichstraße (d.h., einen Schotterweg quer durch die Sumpflandschaft des Frischen Haffs) erkenne erklärt sie mir jedoch sehr bestimmt, der Yachtclub wäre noch ein paar Kilometer weiter (zumindest meine ich dass sie das sagt – sie spricht fast kein Englisch, wie überhaupt die Kommunikation hier nur auf russisch und händisch funktioniert). Zehn Minuten später bin ich sicher dass wir zu weit sind, sie ruft einen Freund an und lässt sich ein paar Worte auf Englisch übersetzen: „I am sorry. People make mistakes. We come back later. I will show you.“ Ich bin nicht böse drum, lerne ich doch etwas von der russischen Landschaft kennen, und die hübsche Lena kann auf einmal doch ein paar Brocken Englisch und setzt sich zu mir. In Mamolowo, der Endstation, steigen wir aus, rauchen eine Zigarette, sie zeigt mir die Statue von Mamolow, einem russischen Kriegshelden (?), und auf dem Marktplatz findet zum heutigen Tag der Jugend ein Punkkonzert statt. Auf dem Rückweg bleibt der Bus fast leer, nur ein paar alte Frauen mit Kübeln voller frisch geschnittener Blumen, die sie wohl im Kaliningrader Nachtleben zu verkaufen hoffen, fahren mit. Als ich aussteige lade ich Lena noch auf einen Drink auf Tadorna ein; leider muss sie zurück zum Busbahnhof um ihre Abrechung zu machen. Morgen? Die Antwort kommt per SMS auf russisch, Alexey übersetzt: „My boyfriend doesn’t like the idea…“. Oh well…
Am Sonntag verschlägt es mich gegen Mitternacht ins Planeta, der angesagtesten Disco Kaliningrads. Nach ein paar Gin Tonics und ein paar Schritten auf der Tanzfläche, die hier ansonsten den Mädchen vorbehalten zu sein scheint, winken mir aus der hinteren Ecke zwei Ladys zu, die mir schon vorher aufgefallen sind – ich gehe rüber und setze mich zu ihnen. Sie trinken teuren Champagner, zeigen mir ihre sexy Tattoos und lassen mich ihre Swarovski-Amulette in tief ausgeschnittenen Dekolletés bestaunen. Als das Planeta gegen fünf Uhr zumacht steigen wir in ein Taxi und fahren zu einer Sushi-Bar, ich hole meine dicke Olympus-Kamera raus und die beiden fangen an zu posieren und spielen Model – als Jula anfängt ihre Bluse aufzuknöpfen traut sich der arme Kellner kaum noch an unseren Tisch. Am frühen Morgen hängt mir Katja ihr Silberkettchen um, drückt mir eine Serviette mit ihrer Telefonnummer in die Hand, sagt ich solle sie am nächsten Abend anrufen und steigt in ein Taxi – eigentlich wollte ich ja heute weiter, aber ein langer Kuss und zwei gewichtige Argumente fordern mich eindeutig zum Bleiben auf…
Montag. Ein Zimmer im Kaliningrad Hotel zu bekommen ist gar nicht so einfach – mir fehlt die notwendige Registration, und die Hotelmanagerin ist auch nach über einstündiger Diskussion und Erklärungen – „I was staying on my boat!“ – unerbittlich. Ich werde quer durch die Stadt zum Postamt geschickt, das natürlich längst geschlossen hat, und bekomme nach meiner Rückkehr erst nach drei Stunden warten ein Zimmer unter der Auflage, niemandem zu erzählen dass ich hier war: „If you have problem with police, it’s your problem, we don’t know you, ok?!“. OK.
Ich setze mich ins First Coffee und schicke Katja eine SMS – die Antwort ist ein knappes „I don’t have time“. Als ich sie zwei Stunden später zum Abendessen einlade heißt es dann nur noch „I sleep.“ Super. Hatte ich mir gelinde gesagt etwas anders vorgestellt. Ihr Kettchen bekommt sie so auf jeden Fall nicht zurück. Stattdessen treffe ich Ilya, der eine große Plakette „Miss World Tour 2008 – Kaliningrad“ um den Hals hängen hat. Als er meine Kamera sieht ruft er kurzerhand ein paar „seiner“ Models an, die sich kurz darauf zu uns setzen, mein MacBook in Beschlag nehmen und sich der russischen Version von Facebook widmen. Die hübsche Tatjana bittet mich kurz darauf um eine Photo-Session: „We go Hotel, ok?“. Ihr glaubt gar nicht wie dankbar ich Olympus dafür bin, mir so eine geile digitale Spiegelreflex zu sponsorn – macht nicht nur super Bilder, sondern zieht die Motive quasi von selbst vor die Linse ;-)
Als ich zurück zum KYC komme ist NINA zurück – nicht aus St. Petersburg, sondern aus Baltijsk. Die russischen Grenzer haben sie nicht ausreisen lassen. Der Russe nimmt’s mit Fassung, dem hier wohl nötigen Zynismus („We go to Sweden, no problem – but inside Russia? Papers, Documents, Kurwa!“) und einer weiteren gehörigen Portion Selbstgebranntem. Außerdem erfahre ich dass mich der Grenzschutz sucht, weil ich bei Einreise angegeben habe nur drei Tage bleiben zu wollen. Aber die Empfangschefin des Kaliningrad Hotels hatte noch eine nette Überraschung für mich parat: Als ich auschecke drückt sie mir mit einem schelmischen Grinsen ein Schriftstück in die Hand – die Registration bei der russischen Immigrationsbehörde. Da muss jemand ganz früh aufgestanden sein. Auf einmal mag ich sie wieder. Ich bin also auf der sicheren Seite, schlafe noch ein paar Stunden, mache mein Schiff klar, schenke meinen Gastgebern eine gute Flasche Sherry und spende der Vereinskasse 1000 Rubel. Liegegebühren kennt man hier nicht, Gäste sind immer willkommen, dürfen nur keine westlichen Standards erwarten – dafür wie beschrieben den wohl herzlichsten Empfang, den man sich vorstellen kann. Die Segler hier freuen sich noch über jedes einzelne Schiff und jeden Gast ganz persönlich, und die wirklich rührende Hilfsbereitschaft und Offenheit überwindet auch Sprachbarrieren ohne Mühe.
Kaliningrad. Noch Fragen? Ich komme wieder.