Nein, dies ist noch nicht der versprochene Bericht zu Kaliningrad, nur der GPX-Tracker der letzten 40 (!) Stunden und rund 140 Seemeilen, und die kurze Nachricht, dass ich die russischen Hoheitsgewässer letzte Nacht mit kurzem Zwischenstopp in Baltisk und Pionerski wieder verlassen und heute um 4 Uhr morgens wohlbehalten Klaipeda / Litauen erreicht habe.
Alles andere später – ich muss erst nochmal ne Runde schlafen und brauche dann einen starken Kaffee ;-) Aber es geht mir blendend, die Sonne scheint, Tadorna schaukelt im neuen Kastellhafen leise vor sich hin und ich freue mich endlich wieder ein Stromkabel und Internetzugang zu haben und werde beides nutzen um ausführlich zu berichten…
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Nachtrag:
Nach fünf spannenden Tagen in der Enklave Kaliningrad werde ich am Mittwoch Morgen gegen 9 Uhr (deutsche Zeit – ich habe entschieden dabei zu bleiben und meine Borduhr wie auch mein Logbuch nicht umzustellen…) winkend aus dem Kaliningrad Yacht Club verabschiedet und nehme Kurs auf Baltijsk. Unterwegs vermesse ich noch die genauen Positionen der drei einzigen Fahrwassertonnen im Königsberger Meerbusen; denn da wo sie selbst laut aktuellsten Karten stehen sollen befinden sie sich bestimmt nicht – Zeit für ein Update an Jörn Heinrich und seine tolle Webseite www.joern-heinrich.de . Es geht genauso unkompliziert wieder raus wie rein – Clearance durch Port Control (mein Funkspruch löst zunächst eine wahre Kaskade aus, vermutlich da ich nicht durch den Seekanal komme und quer einlaufe, ich höre mehrmals Tadorna / Yacht / Passport / Traffic und viel Russisch auf Kanal 74, wo es vorher ganz ruhig war), dann aber nur ein kurzer Stopp am Zollpier und der Hinweis, ich solle auf dem Weg nach Klaipeda in Pionerskij ausklarieren.
Ich kreuze also Richtung Norden, runde gegen 22 Uhr das russische Kap Taran und schaue mir kurz nach Mitternacht das mondäne Rauschen mit seinen riesigen, wahrscheinlich mit viel russischem Geld wieder aufgebauten Seehotels an. Um drei Uhr morgens laufe ich in den Industriehafen von Pionerskij ein, in dem sich im hinteren Eck ein Schwimmsteg mit ein paar großen Motoryachten befindet. Als ich am einzigen freien Platz längsseits gehe kommt ein wütend schnaubender Nachwächter angerannt, wirft bei ablandigem Wind meine gerade festgemachte Vorleine los und tritt mehrfach gegen mein abtreibendes Schiff und die Wanten, begleitet von derbem Russisch (ich verstehe nur „out“, „go“, „private“ und „closed“). Die beiden Damen vom Zoll stehen hilflos daneben und bitten mich an einer Pier festzumachen, die so hoch ist dass Tadorna schlicht darunterrutschen würde. Ich bin ziemlich fassungslos – so übel bin ich in meinem ganzen Seglerleben noch nicht empfangen worden. Ich verhole mich an ein rostiges Ponton und lasse mir von den Damen zunächst den Namen des, wie sie sagen, „Security Guards“ geben. Nach Passkontrolle stehe ich vor Valentins Motorbratze, trete mehrfach kräftig dagegen und fordere ihn auf rauszukommen und mir Rede und Antwort zu stehen – aber der Sack traut sich nicht. Ich zerschmeiße eine der guten Flensflaschen auf seinem Deck, lasse dem Nachtwächter meine Visitenkarte da und die Nachricht, dass ich um sieben Uhr wiederkomme.
Nach drei kurzen Stunden Schlaf kommen die Damen vom Zoll in Begleitung von zwei Grenzschützern, die anscheinend aufpassen sollen dass ich das Schiff nicht mehr verlasse (hatte auch die ganze Nacht über einen Aufpasser vor dem Ponton sitzen). Man ist hier auf Segelyachten sichtlich nicht eingestellt, ich muss eine Cargo Declaration und eine Ship’s Storage Declaration ausfüllen (Bruttoregistertonnen, Treibstoff, Wasser, Öl etc…). Danach werde ich aufgefordert den Hafen umgehend zu verlassen. Ich gebe vor zur Toilette zu müssen und laufe dann, gefolgt von vier sichtlich verunsicherten Offiziellen, zu dem gerade verschlafen aus seinem Schiff guckenden Valentin. Eine Unterhaltung ist nicht wirklich möglich, also schieße ich ein paar Fotos von ihm und „seiner“ Marina, was ihn ziemlich in Rage bringt, lasse das Wort „Journalist“ fallen, erkläre den Damen dass ich durchaus hierüber berichten würde und das Gäste in Pionerskij ja anscheinend nicht willkommen seien, und lasse es dann dabei bewenden. Pionerskij soll in den nächsten zwei Jahren (die „private“ Marina gehört angeblich einem Russen aus Moskau) zu einer großen Marina ausgebaut werden, erste Renovierungsarbeiten sind bereits im Gange. Aber solange hier solche Arschlöcher beschäftigt werden sollte man lieber einen großen Bogen machen und direkt Klaipeda anlaufen. (Hier treffe ich übrigens später wieder auf Helmut mit seiner Njoerd, der ähnlich schlechte Erfahrungen in Pionerskij gemacht hat, aufgrund seiner Russischkenntnisse jedoch verhandeln konnte und schließlich genau an dem Platz liegenbleiben durfte von dem ich verjagt wurde…).
Ich verlasse die russischen Hoheitsgewässer gegen 18 Uhr auf Position N 55°22,5’ E 020°41,5’ – kurz danach bricht das Servoruder der WSA aus seinen alten Alu-Scharnieren. Und während ich noch kopfüber hinterm Heck des Schiffes hänge und versuche die Einzelteile zu retten werde ich auf einmal über Kanal 16 angerufen: „Sailing Boat, Sailing Boat on Position North …, E…, please answer to Lithuanian Navy Control!“. Scheiße. Ich bin mitten in ein Schießgebiet hineingesegelt. Und durch die eine Woche ohne Strom in Kaliningrad und inzwischen über 30 Stunden auf See mit laufendem UKW (in russischen Hoheitsgewässern sehr anzuraten) ist meine Batterie so leergelutscht, dass ich nicht mehr senden kann. Ich wende auf Kurs West und höre zu wie der einmal pro Minute wiederholte Funkspruch (jedes Mal mit neuen Koordinaten, die bis auf die letzte Dezimalstelle mit meinem GPS übereinstimmen – die müssen ein gutes Radar haben!) langsam leiser wird. Als ich mich einige Stunden später entlang des äußersten Randes des Schießgebietes wieder nach Norden taste begleitet mich an Steuerbord das Aufblitzen des Flakfeuers der litauischen Marine. Zusammen kommen wir gegen 4 Uhr morgens in Klaipeda an.
140 sm