Aus der Inselwanderung wird leider nichts: Als wir am Morgen aufwachen ist der angesagte Sturm da, mit böigen 7 Bft aus Nord und schwerem Dauerregen. Ulf pennt noch ne Runde, ich mache Frühstück, und wir hören dem Prasseln auf Tadornas Deck zu. Der neu gebaute kleine Yachthafen von Ruhnu ist zum Glück gut geschützt, und wir liegen wie üblich mit dem Bug im Wind. Während sich unsere Nachbarn auf einen gemütlichen, eingewehten Regenpause-Tag einstellen machen wir uns auf einen heißen Ritt gefasst: Ulf fliegt morgen Mittag zurück nach Berlin, d.h. wir müssen spätestens gegen Abend los, um die 60 Meilen bis Riga zu schaffen. Das sind eigentlich Situationen die ich vermeiden möchte – an einem bestimmten Tag zu einer bestimmten Zeit an einem bestimmten Ort sein zu müssen. Obwohl 7 Bft achterlicher Wind für Tadorna kein Problem sein dürften, insbesondere da die Wellen in der Rigaer Bucht wohl kaum über 3 Meter hoch werden dürften – im Norden liegt Saaremaa und die estnische Küste.
Als es gegen 18 Uhr etwas aufklart machen wir uns fertig, setzen in aller Ruhe am Steg Fock und zweifach gerefftes Groß und rauschen dann unter Segeln aus der engen Hafeneinfahrt. Der Wind hat deutlich abgenommen und auf NW gedreht, die See steht bei 2 bis 2 ½ Metern, und wir gehen auf Kurs Riga: 150°. Mehr aus Neugier überlasse ich Jörn das Ruder – und siehe da, Tadorna hält Kurs, mit weniger als +/- 30° Abweichung, guten 6 Knoten Durchschnittsgeschwindigkeit und heißen Ritten die Welle runter! Ich bin ehrlich beeindruckt wie die kleine Heckkonstruktion die Pinne von links nach rechts reißt, noch bevor selbst ein guter Steuermann zu reagieren in der Lage wäre. Das Ding stabilisiert sich sozusagen selbst, da das Servoruder bei diesen Bedingungen nicht nur auf die Impulse der Windfahne, sondern auch auf leichte Krängungsveränderungen und durch einsetzende Schiffsdrehung verursachte Strömungen sofort reagiert. Das deutlich verlängerte Servoruder (jetzt über 1 Meter lang!) bleibt zudem auch bei 30° Lage und vollem Ausschlag mit der Spitze im Wasser und somit immer effektiv und entwickelt eine enorme Kraft – leider zu viel für den Hebelarm: Der reißt nach einer knappen Stunde in einer mittleren Welle quer (!) ab. Ich sammle die Einzelteile ein und setze mich an die Pinne – egal, macht richtig Spaß, Regen hat auch aufgehört, und Tadorna wird immer schneller: Wir haben laut GPS bald eine Durchschnittsgeschwindigkeit von 6,7 Knoten, kommen die Welle runter regelmäßig zweistellig, und stellen dann einen neuen Tadorna-Rekord auf: 12,9 Knoten! Wahnsinn. (Ja, ich weiß, GPS-Ungenauigkeit etc, aber wir sind ohne Zweifel irre schnell…). Den „alten“ Tadorna-Geschwindigkeitsrekord haben Ulf und ich ebenfalls gemeinsam aufgestellt, letztes Jahr im April auf einem verrückten Ritt von Klintholm auf Mön nach Stralsund – ohne Motor, inklusive An- und Ableger unter Segeln und das Aufkreuzen durch die Boddenfahrwässer haben wir für die 49 Meilen damals exakt siebeneinhalb Stunden gebraucht…
Es ist total super mal nicht alleine zu sein. Mit Ulf an der Pinne schlafe ich ganz anders als wenn ich ‚nur’ einer festgebändselte Pinne oder eben der WSA – so sie denn mal einsatzbereit ist – vertraue. Um Mitternacht tauschen wir, Ulf legt sich schlafen, ich reffe bei inzwischen nur noch 4 Bft aus, und um kurz nach vier erreichen wir mit aufgehender Sonne Riga. Die letzten Meilen den Seekanal hoch müssen wir leider motoren, der Wind ist weg und es wird mit einem Schlag so nebelig, dass wir fast die Einfahrt in den Yacht Club Andrejosta übersehen. Schlafen lohnt nicht mehr, ich schicke Zane, einer Teilnehmerin der von mir letztes Jahr geleiteten DGAP-Sommerschule eine SMS, sie empfiehlt „Double Coffee“ für ein gutes Frühstück und wir verabreden uns für Drinks am Abend. Nach einer Portion lettischem Pfannkuchen und Schaschlikspießen auf dem Zentralmarkt, untergebracht in vier riesigen Zeppelinhallen, macht Ulf sich auf den Weg zum Flughafen, ich gehe zurück an Bord und schlafe jetzt doch erstmal aus…
59 sm