Nass, grau, windig und sehr, sehr kalt – so die Kurzform der Etappe Mariehamn – Visby. Ich kann mich endlich von der Hauptstadt der Alands losreissen und entscheide, die verdaddelte Zeit gutzumachen indem ich Stockholm und den schwedischen Schärengarten für diese Saison auslasse und direkt über Gotland und Bornholm „gen Süden“ segele. Seit Tagen stetiger Nord-Ost, der sich noch eine ganze Woche halten soll – das muss man nutzen! Denn normalerweise herrscht um diese Jahreszeit schon eine stürmische Süd-Westlage vor, da können sich die rund 350 Meilen bis nach Bornholm schnell doppelt so weit und dreimal so hart anfühlen. Außerdem habe ich gerade festgestellt, dass ich Idiot meine Detailkarten für Südschweden in Berlin gelassen habe, schließlich wollte ich ursprünglich durch den Göta-Kanal zurück… Ab Arkö stehen mir also nur noch die Übersegler im Maßstab 1:500 000 zur Verfügung, damit ist Küstensegeln eh nicht möglich.
Das Gute daran: 165 Meilen in weniger als 32 Stunden! Mal wieder mit meiner Lieblingsbesegelung: 1. Reff im Groß, Bullentalje und nach Luv ausgebaumte Fock. Die in Mariehamn mit neuen Steuerzügen ausgestatte WSA macht 30 Stunden lang keinen einzigen Fehler, kein einziges Mal in den Wind geschossen, und das bei zwischendurch gut 2 Metern Welle! Und Tadorna legt einen Schnitt von deutlich über 5 Knoten hin, obwohl der Wind gegen Ende doch ziemlich einschläft – ich kann mich nicht beklagen. Erreiche Visby kurz vor Mitternacht. In Anbetracht der vielen Fähren bin ich froh, endlich wieder ein einwandfrei funktionierendes Navi-Licht im Top zu haben – ich war in Mariehamn noch mal im Masttop und habe die alte, von Bartek selbstgebastelte LED-Konstruktion, die total wegkorrodiert war, durch eine normale 5-Watt-Lampe ersetzt. Nachteil: Nach einer Nacht ist meine Batterie total leergelutscht. Auch hier wird’s Zeit für Ersatz. Ich wundere mich manchmal dass die überhaupt noch tut, schließlich ist die schon mit Bartek und Yvonne bis nach Marokko gesegelt (und das war 2003/04!), ich habe sie letztes Jahr und im Frühjahr zweimal komplett unter Wasser gesetzt, und sie ist seit nunmehr fast vier Monaten im Dauereinsatz…
Egal. Gruß aus Gotland, ich werde mich hier bei weiterhin grauem Nieselregen wohl nur kurz umschauen und dann weiterrauschen… Und für die nächste Etappe zwei lange Unterhosen und drei Paar Socken anziehen ;-) Und wenn ich noch einen verspäteten Geburtstagswunsch übrig hätte: Handschuhe! Dicke, warme, wasserdichte Handschuhe… Was hätte ich vorgestern Nacht alles dafür gegeben…
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Nachtrag
Visby muss ein Traum sein – im Sommer. Ich laufe durch ziemlich menschenleere Kopfsteinpflastergassen, über mir grauer Himmel, aber vorbei an der alten Stadtmauer, Kirchenruinen, einer tolle Uni direkt am Hafen und tollen Designläden und Kunsthandwerksbetrieben – die meisten (mal wieder) bereits geschlossen.
Vor den kleinen, pastellfarben gestrichenen Häusern versuchen ein paar letzte Malven und Stockrosen den vergangen Sommer noch ein wenig länger festzuhalten… Ich weiss auch nicht, irgendwie fühle ich mich zuhause hier, es erinnert vieles an den Schleswiger Holm – und zum ersten Mal auf dieser Reise verspüre ich so etwas wie Heimweh. Muss am Wetter liegen, an der Jahreszeit, am Nieselgrau da draußen (ich sitze gerade in der Uni-Bibliothek)… Es wird Zeit. Der Herbst ist da.