Während Ulf im Flieger nach Riga sitzt baue ich das neue Servoruder wieder ab, profiliere die Vorderkante mit meinem schicken Multimaster, Feile und Schleifpapier, justiere die Achsen und Hebelgelenke der WSA neu und spiele etwas mit den Balancegewichten – vier Stunden lang. Sieht gut aus – auf ein Neues!
Gegen Abend kommt Ulf mit dem Bus aus Riga. Wir kennen uns seit dem gemeinsamen Zivildienst als Rettungssanitäter, leben inzwischen beide in Berlin und haben 2007 angefangen, eine gemeinsame berufliche Zukunft im IT-Bereich aufzubauen – bis ich mich Anfang März entschied „Tadorna Jetzt!“ umzusetzen. Ulf ist einer der cooleren Typen dieses Universums – to say the least. Und hat, obwohl es für ihn eine ziemliche Enttäuschung gewesen sein muss, verstanden und akzeptiert wie wichtig mir dieser Sommer ist. Wir sind letztes Jahr schon zweimal zusammen gesegelt; Ulf ist auch einer der wenigen mit denen ich mir einen solchen Törn „rund Ostsee“ als Duo hätte vorstellen können – aber Ulf und Natze sind seit einem halben Jahr zu dritt, und der kleine Kalle braucht seinen Papa natürlich nötiger als ich.
Wir entscheiden aus dem Yachthafen aus- und in den Seekanal einzulaufen, um an der Stadtpier festzumachen und etwas zu essen – dann wollen wir los. Nach dem etwas tristen Vorhafen sieht die Uferpromenade von Ventspils wirklich süß aus, mehrere Stier-Statuen (Stadtsymbol?), hübsche Häuser, viel Grün und das alte Schloss – aber als wir am Stadtanleger festmachen empfangen uns zwei nicht besonders gut gelaunte Polizistinnen. Wir haben Ventspils Traffic nicht um Erlaubnis gebeten einzulaufen und müssen ihrer Meinung nach sofort zurück in den Yachthafen. Ziemlich bescheuert – als ich gestern ankam hat Ventspils Traffic auf meine Funksprüche schlicht nicht reagiert, und als ich sie jetzt über Kanal 11 und 16 um Aufklärung bitte wollen sie auch nicht – dafür telefonieren sie per Handy mit den beiden Damen, die ihre Forderung noch einmal bekräftigen („You have to leave now, ok!?“) und dann einfach in ihren Wagen steigen und davonbrausen. Na gut, dann eben zu Fuß… Das Essen im alten Schlosskeller ist hervorragend, man sitzt an alten Eichentischen, lehnt sich an grob verputztes, warmes Gestein, genießt den Schein der vielen Kerzen und freut sich über die zurückhaltende, erstklassige Bedienung.
Zurück an Bord müssen wir dann doch erstmal ne Runde schlafen – aus einer Stunde werden zwei, dann vier… Schließlich legen wir gegen halb fünf ab und gehen bei SW 4-5 auf Kurs Nord. Kurz danach erste Erfolgsmeldung: WSA funktioniert! Hat der Basti fein gemacht ;-)
Es geht die lettische Küste hoch ums Kap Ovisi, dann fahren wir in die Irbenstraße ein. Wirkt wie eine Autobahn mit LKW-Spur: Im teils nur eine halbe Meile nördlich verlaufenden Verkehrstrennungsgebiet läuft ein Frachter nach dem nächsten in die Rigaer Bucht ein – wir halten uns küstennah und steuern auf Kap Kolka zu. Den auf einer künstlichen Insel stehenden roten Leuchtturm erreichen wir am frühen Nachmittag. Auf Kanal 16 meldet sich Riga Rescue Radio mit einer Sturmwarnung für die kommende Nacht: 15-18 m/sec aus Nord – aber bis dahin sind wir längst auf Ruhnu, der südlichsten Insel Estlands. Wir werden trotz später Stunde vom netten Hafenmeister auf das freundlichste empfangen, er sagt wir sollten uns doch etwas Grillfleisch besorgen, ruft den Inselbus an, und kurz danach fahren wir mit Lisa die drei Kilometer bis ins „Zentrum“. Lisa makes the world go round: Sie ist um die 40, fährt den Inselbus, sammelt unterwegs noch ein kleines Mädchen ein und nimmt vier Jugendliche auf dem Weg zur Sauna mit, ihr gehört der einzige Laden hier und sie ist Herrin über das Internetcafe. Dass der Bus umsonst ist machen die Preise für das Grillfleisch allerdings mehr als wett ;-) Schmeckt aber hervorragend – und die Sauna wartet auch schon. Wir springen gegen Mitternacht vom Steg ins hier 18, 19 Grad warme Wasser der Rigaer Bucht – auf der Passage durch die Irbenstraße stieg die Wassertemperatur alle paar Meilen merklich an. Dann fallen wir erschöpft in die Kojen. Morgen wollen wir um die Insel wandern – 6 Kilometer lang, 4 Kilometer breit; es gibt einen Flughafen mit einer alten Tupolev, die im Winter, wenn die Fähren nicht mehr fahren, die Insel mit dem Festland (Pärnu) verbindet, und an der Nordspitze soll man angeblich auf Robben treffen… Will ich sehen.
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