Da ich am Abend wieder „verhaftet“ und ins Fontaine entführt worden bin komme ich mal wieder erst gegen Mittag los. Dafür habe ich gestern ein geiles neues Servoruder gebaut – drei Schichten wasserfestes Bootsbausperrholz, mit dem guten SP-Epoxy verleimt und beschichtet; da kann man sich draufstellen.
Beim Ablegen funke ich Port Control an und bitte um Erlaubnis den Vorhafen durch das Northern Gate zu verlassen: „Yeeees, sailing boat, I think no problem, you can go…“. Cool – denn ich will mir Karosta zumindest seeseitig ansehen. Wenn ich etwas mehr Zeit gehabt hätte wäre ich da gerne noch hingefahren. Karosta ist ein unter Zar Alexander gebautes Fort, das bis 1994 als Stützpunkt für die sovietische Nuklear-Uboot-Flotte genutzt wurde. Die riesigen halbverfallenen Unterwasserbunker und Bastionen, die bis weit ins Meer hineinragen, sind durch ein Labyrinth von Tunneln miteinander verbunden; es gibt ein altes, heute zu einem Hostel umgebautes Militärgefängnis, mehrere Offizierskasinos, einen Palast für den Zar und eine riesige russisch-orthodoxe Kathedrale, deren goldene Dächer die Mittagssonne reflektieren. Karosta ist heute ein Zentrum für moderne, alternative Kunst, Rockkonzerte und diverse Veranstaltungen. Leider ist das Seegebiet davor noch immer Sperrgebiet, ich wage mich nicht allzu weit hinein – habe keine Lust eine alte Phosphormine zu treffen oder auf ein Bunkerdach aufzulaufen…
Bei Süd 4, der bis morgen konstant wehen und leicht gen Westen drehen soll, könnte ich bei funktionierender WSA eigentlich bis Riga durchsegeln – 160 Meilen. Dann wäre ich morgen Abend da, mehr oder weniger gleichzeitig mit Ulf. Aber so gut das neue Ruder ist – jetzt stimmt irgendwas mit der Mechanik nicht. Wahrscheinlich habe ich beim Umsetzen der Aufhängung und Beschläge irgendwo einen Fehler gemacht. Ich versuche zu improvisieren, aber bei Welle und Wind kopfüber einen Meter hinterm Schiff auf einer wackeligen Plattform bohren und schrauben zu wollen erweist sich als ziemlich utopisch. Ich rufe Ulf an und bitte ihn, morgen von Riga aus mit dem Bus nach Ventspils zu kommen – ohne zuverlässig funktionierende Selbststeueranlage sind solche Strecken einfach nicht zu machen. Komme gegen 2 Uhr morgens in Ventspils an; der riesige Öl-Verlade-Hafen zählt zu den größten Tiefwasserhäfen der Ostsee und zu den 20 wichtigsten Häfen Europas, den Lichtschein der Terminals erkennt man nachts schon aus über 10 Meilen Entfernung.