Die letzten paar Stunden würde ich am liebsten ungeschehen machen. Und ob ich das hier wirklich alles aufschreiben soll weiss ich auch nicht – aber versprochen ist versprochen ;-) . Zuerst lief alles super – den ersten Teil dieses Textes schreibe ich bei traumhaftem Segeln gegen Mitternacht irgendwo querab von Leba. Teil zwei schreibe ich total erschöpft und um einige Erfahrungen reicher am Dienstag Abend in Wladyslawowo. Das wichtigste zuerst – es geht uns gut. Aber lest selbst…
Als ich um kurz nach 11 mit etwas Verspätung vor der Ziehbrücke von Darlowo ankomme macht der Brückenwärter extra noch mal für mich auf – es kann losgehen. Bei leicht bewölkten NW 3 nehme ich Kurs auf Ustka mit Ziel Leba – dort liegt die „Sahara Polens“, eine riesige Wanderdüne, die das dahinterliegende Naturschutzgebiet „“ von der Ostsee abriegelt.
Es folgt weitere Frickelei an der WSA – und dann um 13.50 h der Logbucheintrag: funktioniert! „Jörn“ steuert seit über einer Stunde selbständig und ohne mein Eingreifen konstant 60°, mit Abweichungen von weniger als 5° nach beiden Seiten – so gut bekomme ich das noch nicht mal selber hin. Als der Wind abnimmt und es anfängt zu regnen sitze ich in der Kajüte, koche Kaffee und schmiere Leberwurstbrote – genau so habe ich mir das vorgestellt ;-) !
Zwei Stunden später scheint wieder die Sonne, und ich gehe eine weitere Premiere an – es ist Zeit für Tadornas neuen Gennaker. Nach einer kurzen Meinungsverschiedenheit über die Bedeutung von „Clew“ und „Tack“ erblickt die nächste Tadorna (von Segelmacher Schultz in drei-Meter-Format in das weiße Spinnaker-Tuch eingesetzt) das Licht der Ostsee. Und als ich kurze Zeit später auch die Fock wieder setze laufe ich statt vorher 2,5 kt auf einmal deutlich über 5. Geil. Papa, wenn Du hier wärest, Du würdest das genauso sehen (Papa hatte mir von dieser doch recht massiven Investition abgeraten – und mein „doch!“ nur noch mit einem resignierten „Er fragt mich zwar immer, aber macht dann das Gegenteil“ kommentiert).
Gegen Mitternacht liegen die Wanderdünen von Leba steuerbord querab, und ich entscheide mich sie wandern zu lassen und weiterzusegeln – solche idealen Bedingungen muss man nutzen. Ich lege mich schlafen, stelle den Wecker und kontrolliere alle halbe Stunde Kurs und Segelstellung. Tadorna segelt bei 2 Windstärken und halbem Wind wie von selbst die polnische Küste entlang gen Osten.
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Und dann mache ich einen folgenschweren Fehler: Der Wind schralt etwas, der Gennaker steht nicht mehr – und ich lasse Tadorna wieder anluven und näher an der Küste segeln. Bis sieben Uhr geht alles gut, bei meiner letzten Kontrollrunde liegt der weiße Sandstrand ca. eine halbe Meile steuerbord querab. Keine 10 Minuten später wache ich mit einem lauten Rums auf: Tadorna ist gestrandet und liegt quer in der zum Glück recht seichten Brandung, rechts der Strand, links eine unter Wasser hellgrün schimmernde Sandbank. Beide laufen trichterförmig aufeinander zu, und jede dritte Welle hebt Tadorna leicht an und drückt sie ein paar Meter weiter in die Sackgasse. Trotz ablandigem Wind ist mit Krängen durch backgesetzte Fock, dichtgeholtem Groß, Gennaker und Außenborder – die Schraube berührt kaum mehr das Wasser – nichts zu machen. Ich berge die Vorsegel, mache meinen Anker klar und springe in die 14 Grad kalte Ostsee. Wer schon einmal versucht hat einen zentnerschweren Anker schwimmend auszubringen weiß, dass das kein Spaß ist: Ich laufe ein paar Schritte auf dem Meeresgrund, tauche nach Luft schnappend wieder an die Oberfläche, und weiter.
Gegen acht Uhr gebe ich erschöpft und bibbernd vor Kälte und Anstrengung auf. Der Wind hat inzwischen auf Nordwest (auflandig) gedreht und nimmt stetig zu, ich setze mich an mein UKW-Gerät und versuche über Kanal 16 bzw 10/11/12 die Küstenwache im nur 6 Meilen entfernten Wladislawowo zu erreichen. Aber eine bewaldete Steilküste schirmt meine Funksprüche ab, und mein deutsches Handy hat keinen Empfang. Ich schreibe meine exakte Position und die Telefonnummern des Kapitanats von Wladislawowo auf einen Zettel, wate zum Strand und drücke beides einem vorbeikommenden polnischen Rentnerehepaar in die Hand. „One hour!“, sagen sie nach kurzem Telefonat. Ich wundere mich noch dass die SAR, die normalerweise eine Bereitschaft von nur 15 Minuten hat und bei 30 Knoten eigentlich sehr viel schneller hier sein müsste, so lange brauchen soll – aber gut, Hilfe ist unterwegs. Ich kontrolliere Rigg und Bilge, hoffe dass meine 50 Jahre alten Kielbolzen der zunehmenden Belastung gewachsen sind (inzwischen fast 1 Meter Brandung, Tadorna stampft mit ihren fast 3 Tonnen Gewicht den polnischen Sandboden noch fester – was bin ich froh dass ich einen Langkieler habe!) und suche mit dem Fernglas die Huk nach dem SAR-Boot ab. Es vergeht über eine Stunde, und um kurz nach neun (ich stecke gerade wieder kopfüber in der Bilge) kommen – zwei Grenzschutzbeamten auf Motorrädern!! Ich fasse es nicht. Sie rufen mich zum Strand, und das erste was ich dort höre ist „Passport!“. Meinen Wutausbruch spare ich mir hier – auf jeden Fall fängt Kollege Nummer 2 mit einem besorgten Blick auf mein Boot und diesen verrückten Deutschen, der gerade sein Motorrad umgetreten hat, hektisch an zu telefonieren, sagt irgendwas von SAR und 20 Minuten, und ich lasse die beiden stehen und kämpfe mich durch die Wellen zurück an Bord.
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15.00 h Tadorna liegt sicher vertäut im Hafen von Wladislawowo, dem größten Fischereihafen Polens. Die Formalitäten sind erledigt, draußen weht es inzwischen mit 5-6 aus Südwest. Ich ziehe Bilanz: Tadorna hat eine Klüse verloren, die zweite ist lose (durchbolzen!); die Aktion hat mich 300 Zloty (ca. 90 Euro) gekostet; Kanal 16 ist unter Land nutzlos, und ich hätte sicher besser selber mit dem Kapitanat gesprochen; aber wenn die polnische SAR erst mal da ist ist alles gut – sehr schnell (20 Minuten nach Anruf gingen sie mit einem kleinen Tender längsseits), sehr professionell, sehr nett. Sie schleppen mich bis in den Hafen, laden mich auf einen Kaffee ein, ich brenne ihnen eine DVD mit, Fotos die ich von ihrem Einsatz geschossen habe – und falle nach einer großen Portion Nudeln in voller Montur in die Koje. Schwein gehabt.
Stichwort Learning by Error: Ganz so hart hatte ich mir das nicht vorgestellt – aber ich werde sicher nie wieder unter WSA so dicht unter Land segeln. Versprochen.
83 nm