Halbzeit.

Luxus ist, nach einem traumhaften Segelsommer in der dänischen Südsee – Marstal, Aerösköbing, Dreyö, Lyö, Faaborg, Avernakö, Mommark – einen Hafentag in Schleimünde einzulegen und zu wissen: Es ist gerade mal Halbzeit.

Die Antwort auf die Frage, wohin die Reise in diesem „zweiten Sommer“ gehen soll, fällt leicht: Dorthin, wo es zuletzt am Schönsten war. Also ab nach Mommark.

Vor vielen Jahren hatten wir hier ein kleines Ferienhaus. Eigentlich war es mehr eine Hütte. Den Weg vom Hafen den Strand entlang bis zu der flachen Steilküste, hinter der ein schmaler Pfad in den Wald hinein führte, habe ich als Kind immer als unendlich lang empfunden. Tatsächlich sind es keine zwei Kilometer. Vor meinem inneren Auge steht unter einem blühenden Kirschbaum eine schwarze Holzhütte mit offenen Verandatüren, im engen Wohnzimmer ein winziges, mit verblichenen Rosenblüten gemustertes Sofa, auf dem Mama uns drei Jungs in den Armen hält. So jedenfalls zeigt es ein vergilbtes Foto in unserer Küche, dem nur noch die Erinnerung Farbe verleiht.

Ich muss an dem Abzweig vorbeigelaufen sein. Vielleicht bin ich auch gar nicht erst los. Und vielleicht ist es besser so. Zwanzig Jahre sind eine lange Zeit.

Ansonsten ist Mommark immer noch Mommark: Die zwei kleinen Leuchttürme auf den Molenköpfen der Hafeneinfahrt stehen noch genauso schief, wie ich sie in Erinnerung habe; der hintere Teil des Hafenbeckens ist wie früher den Fischern vorbehalten; und weil sich noch nicht wirklich rumgesprochen zu haben scheint, dass der Hafen nach jahrelanger Verwahrlosung wieder eröffnet hat, ist es angenehm leer – Charteryachten fehl am Platz. Auch die alte Rampe für die Fähre nach Söby sieht aus, als könne man sie jederzeit wieder in Betrieb nehmen – dabei wurde das blaue Ungetüm, das mehrmals täglich mit seinem charakteristischem, scheppernden Schraubengeräusch in dem viel zu engen, flachen Hafenbecken drehte und dabei Unmengen an Faulschlamm aufwirbelte, schon vor vielen Jahren außer Dienst gestellt. Aber das hat auch sein Gutes: Den Gestank von faulen Eiern, den sie wie einen als Abschiedsgruß zwischen die Stege gesetzten, ihr träge hinterherwabernden Furz zurückließ, habe ich nur kurz in der Hafeneinfahrt wahrgenommen. Und vielleicht auch das nur in Gedanken.

Endlich Sommer.

Schleimünde war immer ein Ort, an dem Urlaub beginnt, ist, oder aufhört. So habe ich es immer empfunden, so steht es auf Seite 222 von „Raus ins Blaue!“, und so ist es auch dieses Jahr: Mein Sommer 2012 beginnt in Schleimünde.

Ich würde nie auf die Idee kommen, aus der Schlei auszulaufen, ohne hier festzumachen: Einmal die lange Mole entlangtrotten, eine Runde um den Leuchtturm und über die großen Granitfelsen, dann eine Schleimünder Currywurst und ein großes Flens, und natürlich das obligatorische Häkelbändchen vom Hafenmeister fürs Vorstag. Der Sommer ist da, und wir sind glücklich – auch wenn es regnet.

Diese Zeilen habe ich vor vier Wochen geschrieben – und dann aufgehört. Wie angekündigt. Ich brauchte eine Pause, musste erst mal runterkommen, einen Gang zurückschalten. Und brauchte dafür dieses Jahr etwas länger als sonst. Zu Gründen und Hintergründen ebenfalls später…

Jetzt ist Schleimünde genau das, was es immer war: Ein Ort, an dem etwas nicht nur beginnt und aufhört, sondern eben auch ist: Sommer. Ruhe. Freiheit. Nennt es, wie ihr wollt: Wenn ihr schon mal hier ward, wisst ihr, was ich meine. Wenn nicht – herkommen und selber rausfinden. Schleimünde ist einzigartig.

Ich bin diesen Sommer zum dritten Mal hier, und komme in ein paar Wochen sicher wieder – denn Vorbeifahren ist nicht. Wir sind drei Mal die lange Mole entlanggetrottet, haben eine Runde um den Leuchtturm und über die großen Granitfelsen gedreht, eine Schleimünder Currywurst und ein großes Flens genossen und uns ein Häkelbändchen abgeholt – dieses Jahr war es weiss-grün. Genau wie das Schanzkleid der Bonavista in Marstal: grüne Streifen auf weißem Grund. Oder die Lagune von Avernakö: weißer Sand vor grünem Dünengras. Oder die Brandung querab Mommark: weiße Schaumkronen auf grüner See. Und weiß-grün wie der Grund, aus dem wir noch einmal hier sind: Carlsberg und Tuborg in pfandfreien Dosen von Praetorius in Kappeln. Die sind nämlich alle. Ein weiß-grüner Sommer im ansonsten weiß-roten Dänemark.

Ein paar Bilder aus den letzten Wochen findet Ihr auf Facebook: www.facebook.com/BastianHauck
Oder ihr lest den Blog von Digger, mit dem wir die letzten Wochen gemeinsam durch die dänische Südsee gediggert sind:
www.diggerhamburg.wordpress.com
Oder ihr kommt bald wieder – denn ich habe endlich wieder Lust zu schreiben ;-)

Gruß aus Schleimünde,

Bastian mit Freundin Mona, Bordhund Jamaica und der „kleinen Brandgans“ Tadorna

Grün.

Wir sind unterwegs. Wir sind vier. Und wir sind endlich unterwegs – ohne Ziel, ohne Vorhaben, ohne Ambitionen: Einfach nur Segeln. Wir haben ein Schiff. Wir haben Zeit. Und wir haben uns. Das ist es auch schon, oder besser: Das ist es. Alles, was wir brauchen.

Dieser Sommer soll einfach nur schön werden. Kein harter Einhandtörn rund Ostsee. Keine 15.000 Meilen rund Kap Horn. Kein Buch, kein Film, kein Blog – bzw nur, wenn ich wirklich Lust habe zu schreiben. Ich freue mich auf ein paar entspannte Wochen in der dänischen Südsee mit Freundin Mona, Bordhund Jamaica und Tadorna, meinem 50 Jahre alten Folkeboot.

Ich will einfach wieder „Raus ins Blaue“. Weg von den beruflichen und menschlichen Enttäuschungen der letzten Monate, über die ich hier und jetzt nicht schreiben will – das kann warten. Man sieht sich immer zweimal. Die Tore meiner Werft sind verrammelt, die großen Hallen und Werkstätten gefegt und aufgeräumt, und an der Tür hängt ein Zettel: „Betriebsferien. Wir sind Segeln!“. Ich drehe das Schild von Platz 103 im Schleswiger Stadthafen auf grün: Der Sommer kann kommen.